Marianne Gassmann
Ärztin
Marianne Anna Aloisia Gassmann wurde am 9. April 1899 in Neuberg an der Mürz geboren. Ihr Vater, Josef Gassmann, war Ingenieur in der k.k. Bahnbetriebsleitung. Ihre Mutter, Hermine Gassmann (geborene Schranzhofer), entstammte einer kremser Kaufmannsfamilie. Josef stammte aus Wien und erreichte während seiner beruflichen Laufbahn den Titel Hofrat. Die Familie zog mehrmals um, bevor sie sich schließlich in Innsbruck niederließ.
Marianne war eine von acht Geschwistern, von denen eines früh verstarb. Nur sie und ihr älterer Bruder hatten die Möglichkeit zu studieren. Sie besuchte das Reform-Realgymnasium der Ursulinen in Innsbruck. Nach ihrem Schulabschluss 1918 studierte sie Medizin und wurde Mitglied der katholisch-deutschen Studentenverbindung Ostara. Sie promovierte am 16. Juli 1924 und blieb vorerst in Innsbruck. 1930 verstarb ihre Verwandte Aloisia Kitzlert, die ihr als Taufpatin das Haus am Pfarrplatz 16 in Krems hinterließ. Ab 1938 praktizierte und lebte sie in dort.
Bevor Marianne nach Krems zog, schloss sie ihre Ausbildung in Kinderheilkunde am Rudolfsspital sowie an der Kinderklinik Wien und der Säuglingsklinik in Baden ab. Spätestens ab 1938 war sie als Stadt- und Kassenärztin in Krems tätig. Obwohl sie nie der Nationalsozialistischen Partei beitrat, war sie Anwärterin im NSD-Ärztebund, vermutlich aus Sorge um ihre Praxis. Nach dem Krieg im September 1945 war ihre Praxis zerstört, und sie bat die Ärztekammer dringend um neue Instrumente, um ihren Beruf fortsetzen zu können. Als die Kammer nicht helfen konnte, musste sie die neue Praxiseinrichtung selbst finanzieren.
Während der Besatzungszeit wurden im Haus russische Soldaten untergebracht, aber Marianne hatte eine direkte Telefonleitung zur Kommandantur, was sie vor persönlichem Leid bewahrte. Einige Kremser Frauen, die von Marianne gynäkologisch behandelt wurden, hatten jedoch weniger Glück.
Marianne legte großen Wert auf die psychische und physische Gesundheit ihrer Patient_innen, war Schulärztin und behandelte auch die „Englischen Fräulein“ in Krems mit denen sie engen Kontakt pflegte. Sie war sehr religiös und lebte zurückgezogen. Trotz ihrer persönlichen Distanziertheit genoss sie hohes Ansehen und pflegte einen gesunden Lebensstil. Sie war sehr belesen und verwaltete ihre Finanzen selbst. Möglicherweise war dies ein Grund dafür, dass sie sich gegen die Niederlassung weiterer Ärzte in Krems aussprach. Im April 1946 wandte sie sich an die Ärztekammer und argumentierte gegen weitere Praxiseröffnungen, da sie glaubte, dass Krems bereits gut medizinisch versorgt sei.
Die Korrespondenz mit der Ärztekammer war professionell und distanziert. Die Akte bestand hauptsächlich aus Zahlungserinnerungen, Rechnungen und Kassenverträge. Von 1938 bis 1980 war sie als Kassenärztin tätig, bis 1981 als Wahlärztin, dann ging sie in Pension. Als ihr die Ärztekammer zum 60. Promotionsjubiläum gratulierte, antwortete Marianne einseitigen handschriftlichen Antwortbrief, wie sehr sie ihren Beruf genossen habe und bedauerte, nie als Kinderärztin gearbeitet zu haben. Sie erwähnte auch die Schwierigkeiten während der russischen Besatzungszeit als alleinstehende Frau.
Sie lebte allein, pflegte aber engen Kontakt zu ihrem in Wien lebenden Bruder und dessen Familie. Ihr Neffe, Roland Gassmann, kümmerte sich um sie, bis sie am 28. Oktober 1992 verstarb und in Krems beerdigt wurde.
(Barbara Jell)
Quellen:
Ärztekammer für Niederösterreich Archiv Arztregister, Dr. Gassmann Marianne, 209 1992, 10/1992.
Jell, Barbara, Interview mit Gassmann Roland, Marianne Gassmann, 17.4.2024.